Wer lediglich Filet, Roastbeef und Schnitzel isst, verpasst was. Zum Beispiel den intensiven Geschmack geschmorter Ochsenbacken oder das einzigartige Aroma einer frischen Kalbsleber. Außerdem geschieht dem Tier unrecht, wenn es nur wegen seiner „edlen“ Fleischteile sterben musste.
Vor nicht allzu langer Zeit war auch in Deutschland Fleisch noch etwas Besonderes und Kostbares und kein Massenprodukt, das unter sehr fragwürdigen Bedingungen produziert und geschlachtet wird, um es anschließend zu Schleuderpreisen zu verramschen.
Damals war es normal, möglichst alle Teile des Tieres in der Küche zu verwerten. Heutzutage sind hauptsächlich die edlen Teile gefragt. Sie lassen sich ohne großen Aufwand zubereiten und das geschlachtete Tier ist bei einem sauber parierten Schnitzel kaum noch erkennen. Die Fleischindustrie reagiert auf dieses Verbraucherverhalten und exportiert die unbeliebten Teile des Schlachtkörpers gewinnbringend in die ganze Welt. Große Abnehmer sind Asien und Afrika. Dort – zum Teil unter widrigen hygienischen Umständen angekommen – zerstört das billige Fleisch die einheimischen Märkte. Die lokalen Bauern können mit den Preisen des Importfleisches nicht mithalten und verlieren somit ihre Lebensgrundlage.
Die moderne Fleischerzeugung ist mit diesen und vielen weiteren bekannten Problemen, wie zum Beispiel dem Futtermittelanbau, den Haltungsbedingungen, der Überdüngung der Böden, dem Verlust der Artenvielfalt, der Schlachtpraxis, den Arbeitsbedingungen der Schlachthofmitarbeiter etc. behaftet. Das Thema Fleischerzeugung würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, aber jeder Fleischesser ist für das Leben und den Tod dieser Tiere mitverantwortlich. Durch seine Entscheidung – wo, welches und wie viel Fleisch er kauft – kann der Verbraucher die Produktionsbedingungen beeinflussen.
Man sollte dem geschlachteten Tier genauso respektvoll gegenübertreten, wie dem lebenden – und dazu zählt meiner Ansicht nach auch, die Fleischteile abseits von Filet & Co. zu verarbeiten. Das mag zu Beginn vielleicht etwas Überwindung kosten, wenn man es nicht gewohnt ist, und plötzlich das Tier auf seinem Teller erkennt (ging mir genauso), aber es gehört nun mal dazu. Außerdem wird man mit großartigen Gerichten voller Geschmack belohnt.
Genau diese Rezepte sind in Zukunft in der neuen Kategorie „Nose to Tail“ hier auf Culinary Farm zu finden. Ausgangsprodukte werden dabei u.a. Backen, Beinscheiben, Ochsenschwanz, Zunge, Leber, Nieren, Herz und viele weitere, häufig unterschätzte Fleischteile sein. Den Anfang machen zwei urbayrische Rezepte für eine zünftige Brotzeit: eine → Knöcherlsulz aus Schweinefüßen und Schwanzerl sowie ein selbstgemachtes → Griebenschmalz, aus frisch ausgelassenem Schweinespeck.
Der Begriff „Nose to Tail“ wurde übrigens von dem Briten Fergus Henderson geprägt, der in seinem renommierten Londoner Restaurant „St. John“ seit der Eröffnung 1994 darauf setzt, das ganze Tier zu verwerten. Zu diesem Thema hat er zudem bereits zwei erfolgreiche Kochbücher veröffentlicht. Diese wurden in dem 2012 erschienenen „The Complete Nose to Tail – A Kind of British Cooking“ zusammengefasst und um weitere Rezepte ergänzt.
(Eine kurze Rezension in der → Kategorie „Gelesen“ folgt demnächst)